Am letzten Wochenende klickte ich mich durch eine Aufzeichnung, um einen Überblick über die behandelten Themen zu bekommen, und horchte plötzlich auf:
„Frau Maier, Sie stören mich, wenn Sie eine Chat-Nachricht schreiben … ich weiß, ich muss das ja machen, aber es unterbricht mich mehr, als wenn Sie einfach reinreden.“
Irritiert hielt ich die Aufzeichnung an und spulte zurück. Hatte ich mich gerade verhört? Nein, die Wiederholung bestätigte, dass ich richtig gehört hatte. Der Trainer dieser Schulung teilt den Teilnehmern mit, sie sollen ihn nicht mit Chat-Nachrichten stören.
Wow. Ich war perplex. Es ist nachzuvollziehen, dass sich manche Trainer online ungern auf den Chat einlassen, weil die Einträge dort laufend beobachtet werden sollten. Aber Chat-Nachrichten als Störungen und Teilnehmer als störend zu bezeichnen, das hatte ich noch nicht erlebt. Und ich hatte auch nicht erwartet, dies von einem Online-Trainer zu hören, der bereits seit Jahren Online-Unterricht gibt.
Gut fand ich, dass er auf per Mikrofon gestellte Fragen einging – aber was ist mit Teilnehmern, deren Mikrofon evtl. nicht funktioniert, warum auch immer? Solche Teilnehmer haben wir ja immer wieder in Online-Schulungen.
Chat als Ersatz für fehlendes Mikrofon
Wie bereits gesagt, das ist gar nicht so selten. In bestimmt über 90 % meiner bisherigen Online-Veranstaltungen gab es immer mindestens einen Teilnehmer, der sich nicht verbal beteiligen konnte. Dafür gibt es viele Gründe:
- Es ist kein Mikrofon vorhanden.
- Das vorhandene Mikrofon ist defekt.
- Das Mikrofon wird von der Software nicht erkannt (was sehr viele Gründe haben kann).
- Der Teilnehmer nimmt in einer Umgebung an der Schulung teil, in der er sich nicht verbal bemerkbar machen kann (oder darf).
Und selbst wenn alles funktioniert: Es kann sein, dass Ihr Teilnehmer sich gar nicht verbal beteiligen will.
Dann ist der Chat als schriftliches Kommunikationsmittel eine hervorragende Alternative. Es sei denn, Ihre Software stellt keine Chatfunktion zur Verfügung. Das war aber in dem o. a. Termin nicht der Fall.
Das ist ein wichtiger, technischer Grund, den Chat einzusetzen. Aber, werden Sie jetzt fragen, warum sonst noch? Teilnehmer aufzufordern, zu reden, ist doch genau das, was wir in Präsenz-Seminaren auch tun, warum also online davon abweichen?
Online-Räume sind keine Offline-Seminarräume
Es ist nachvollziehbar, dass Sie als Dozent oder Trainer erst einmal versuchen, die Vorgehensweise aus Präsenz-Veranstaltungen 1:1 auf Online-Schulungen zu übertragen, wenn Sie umstellen müssen. Es gibt jedoch einen wichtigen Unterschied, der sich auf die Lernergebnisse auswirkt.
Online-Räume ermutigen Teilnehmer nicht zu der in Präsenz-Umgebungen üblichen, informellen Kommunikation untereinander. Wenn unsere Teilnehmer in einem Seminar- oder Schulungsraum nebeneinander sitzen, dann läuft während der Veranstaltung sehr viel verbale wie nonverbale Kommunikation zwischen ihnen ab. Angefangen vom kurzen Antippen der Schulter des Nachbarn und einem fragenden Blick bis hin zum Flüstern hinter vorgehaltener Hand. All dies fehlt in einer Online-Umgebung, in der sich die Teilnehmer maximal in den kleinen Video-Kacheln der Webcams sehen können, wenn überhaupt. Jeder sitzt an seinem Lernort isoliert und allein vor dem Bildschirm.
D. h., dass die Teilnehmer während der Veranstaltung nicht auf die gewohnte, kollaborative Art voneinander lernen können. Das Lernergebnis des einzelnen ist allein von seinem eigenen Verständnis der geschilderten Inhalte abhängig. Das so wichtige, gemeinsame Lernen durch den Austausch untereinander fehlt.
Chat als das neue „Normal“
Diesen so wichtigen, parallel Austausch zum kollaborativen Lernen leistet der Chat – wenn Sie ihn aktiv mit Ihren Teilnehmern einsetzen.
Jeder Ihrer Teilnehmer kann heute mit einem Chatfenster umgehen. Alle kennen die Funktion, z. B. aus Messengern wie WhatsApp, von SMS oder anderen Online-Situationen. Für viele ist der Chat inzwischen eine natürliche Art der digitalen Kommunikation, die sie hervorragend beherrschen. Daher sollten wir diese Kommunikation nicht unterbinden.
Die Hemmschwelle, sich via Mikrofon zu melden, ist in einer Online-Umgebung wesentlich höher, als die, ein paar Worte in den Chat zu schreiben. Online unterbricht man wesentlich ungerner einen Sprecher, als man das in einem Seminarraum macht. Durch einen Chatbeitrag wird niemand unterbrochen, es entsteht eine begleitende Kommunikation, die viele Vorteile mit sich bringt.
Verbale Meldungen (via Mikrofon) setzen voraus, dass immer nur einer redet. Wer sich verbal meldet, sticht in diesem Moment aus der Gruppe heraus. Das hindert viele daran, diese Möglichkeit wahrzunehmen, keiner will der erste sein, der etwas sagt, das vielleicht auch noch fehlerhaft oder in dem Moment falsch platziert ist. Sicherlich, das kennen wir auch aus der Präsenz, aber die Online-Umgebung, verbunden mit dem fehlenden Überblick über die Orientierung bietenden, nonverbalen Signale der anderen Teilnehmer, verstärkt diese Wirkung.
Im Chat können alle parallel zu den anderen ihre Informationen posten, ohne dass eine einzelne Person hervorgehoben wird. Das senkt die Hemmschwelle für eine Beteiligung enorm. Außerdem können sich innerhalb des verfügbaren Zeitraums wesentlich mehr Teilnehmer auf diesem Weg äußern als über die Mikrofone. Und es geht keine Information verloren.
Der Chat umgeht darüber hinaus eine wesentliche Beschränkung von Mikrofon und Webcam: Teilnehmer können umgehend auf Beiträge ihrer Kollegen reagieren und ihre Meinung kundtun, Ergänzungen und Erweiterungen zu den Inhalten liefern. Fragen einzelner werden durch andere Teilnehmer im Chat beantwortet, ohne dass Sie als Trainer reagieren müssen. Die Teilnehmer lernen mit- und voneinander. Sie ergänzen, falls, wann und wo erforderlich.
Auch Motivation und Anerkennung sind auf diesem Weg mit wenig Aufwand kommuniziert. Nicht nur die Teilnehmer, auch Sie können z. B. Ihre Zustimmung zu einem Beitrag schnell und unproblematisch in den Chat schreiben. Und das sogar mit direkter Anrede des Teilnehmers, der gemeint ist.
Denn eines ist online nicht möglich, selbst wenn Sie und alle Teilnehmer ihre Kamera aktiviert haben: Sie können einen bestimmten Teilnehmer nicht gezielt ansehen und ihm so z. B. über ein nur an ihn gerichtetes Kopfnicken oder einen aufmunternde Blick Anerkennung zukommen lassen. Im Seminarraum ist der direkte Augenkontakt kein Problem, online sind die technischen Möglichkeiten nicht dafür gegeben. Und wenn Sie außerdem – wie in dem oben geschilderten Fall – als Trainer Ihre Webcam nicht einschalten, dann können Sie noch nicht einmal eine nonverbale Zustimmung für alle signalisieren. Aber das ist ein Thema für einen anderen Blogbeitrag.
Individuelle Betreuung durch privaten Chat
Aktivieren Sie den privaten Chat, sofern Ihre Software dieses Feature enthält. Sie können einzelnen Teilnehmern gezielt Anerkennung oder Hilfen zukommen lassen, ohne dass der Rest der Gruppe es bemerkt. Und für eher zurückhaltende Teilnehmer, die sich lieber nicht vor der ganzen Gruppe äußern, ist es ein passender Weg, um z. B. um Hilfe zu bitten oder eine Frage zu stellen, die sie nicht vor allen stellen wollen.
Außerdem kann man den privaten Chat für Aktivitäten und Übungen mit den Teilnehmern nutzen, aber auch das ist ein Thema für einen anderen Blogbeitrag.
Fazit
Nutzen Sie den Chat in Ihrem Online-Raum, um Ihren Teilnehmern die Kommunikation mit Ihnen sowie untereinander zu vereinfachen. Sie ermöglichen dadurch gemeinsames Lernen und bessere Lernergebnisse. Oder anders ausgedrückt: Der Chat ist ein unverzichtbarer Bestandteil lernförderlicher Online-Umgebungen.
Bildquelle: ©Rawpixel.com – stock.adobe.com